Akademisches Lehrkrankenhaus der Philipps Universität Marburg

Wir sind unser Halt

Stellvertretend für ein 21-köpfiges Pflegeteam auf der Covid-Isolierstation:

Vorne (v. l.n.r.): Assistenzärztin Juana Martinez Zarama und Laura Diener (in voller Schutzausrüstung)
Mitte (v. l.n.r.): Denise Harbecke und Katja Hormel
Hinten(v. l.n.r.): Linda Voege (in voller Schutzausrüstung), Antje Friedrich und Melina Isenberg

Auf der Isolierstation des Kreiskrankenhauses

Seit November hat sich die Lage auch im Landkreis zugespitzt und die Betten füllen sich mehr und mehr mit Corona Patienten. Im Kreiskrankenhaus Frankenberg werden die meisten Covid-Patienten auf der Isolierstation aufgenommen und behandelt. Verschlechtert sich ihr Zustand, müssen sie teilweise auf die Intensivstation verlegt werden. Über die Intensivpflege und Beatmungspatienten wurde in den Medien zuletzt häufig berichtet. Die Zahl der freien Intensivkapazitäten steht im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Das Kreiskrankenhaus möchte deshalb die Mitarbeiter*innen von ihrer Isolierstation zu Wort kommen lassen, die von der technischen Ausstattung her eine Normalstation ist. Einige Gesundheits- und Krankenpflegrinnen haben stellvertretend für alle 21 Kolleginnen und Kollegen der Station von ihrem Arbeitsalltag auf dieser Normalstation erzählt, bei der alles anders ist, als normal.

Wie ist die Auslastung der Corona-Isolierstation?
Stand 22.12.2020, 17:00 Uhr sind 16 Betten belegt.
Die Normalbelegung liegt bei 14 Patienten auf unserer Isolierstation, mehr sollten es wegen der hohen hygienischen Auflagen nicht sein. Bei entsprechender Personalausstattung könnten theoretisch 30 Patienten versorgt werden.

Welche Patienten liegen bei Ihnen? Sind es hauptsächlich hochbetagte Menschen oder solche mit schwerwiegenden Vorerkrankungen? Sind auch junge Menschen darunter, die vor der Erkrankung fit waren?
Alle Altersgruppen sind vertreten. Hauptsächlich sind es ältere Mitbürger aus stationären Pflegeeinrichtungen, die neben ihrer Covid-Erkrankung auch pflegebedürftig sind. Den größten Teil unserer Patienten können wir zum Glück nach mehreren Wochen mit einem deutlich besseren Allgemeinzustand wieder entlassen.

Ist der Verlauf bei Älteren und Jüngeren unterschiedlich? Müssen die älteren Patienten häufiger beatmet oder auf die Intensivstation verlegt werden?
Wir haben beobachtet, dass sich innerhalb einer Woche in vielen Fällen abzeichnet, in welche Richtung die Krankheit verläuft. Wir haben erlebt, dass, egal in welchem Alter die Patienten sind, es schnell zu einem akuten Krankheitsverlauf gekommen ist.

Bei vielen älteren Patienten können wir im Vorfeld schon mit Angehörigen oder den Pflegeeinrichtungen abklären, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Aus dieser Verfügung kann entnommen werden, ob bei einer Verschlechterung eine Beatmung, eine Verlegung auf Intensivstation oder der Verbleib auf der Station in einer Palliativsituation gewünscht oder abgelehnt wird. Immer wieder war es so, dass sich der Gesundheitszustand innerhalb einer Stunde dramatisch verschlechtert hat und eine Verlegung auf die Intensivstation erforderlich war. Das ist für uns hier auf der Isolierstation stets eine große Herausforderung, diese kritische Situation frühzeitig zu erkennen und schnell zu handeln. Dies ist unabhängig vom Alter des Patienten.

Es gab Wochen in denen kein Tag verging, an dem nicht ein Patient auf die Intensivstation verlegt werden musste. Wie lange die Verweildauer dort ist, kann pauschal nicht gesagt werden. Entweder sind es schwere Verläufe, die weiterverlegt werden mussten oder auch palliative Situation entstanden sind. In dieser Phase unterstützt uns unsere Seelsorgerin.

Bei einem positiven Verlauf nach einer Intensivbehandlung werden die Patienten wieder auf unsere Station zurückverlegt bevor sie nach Hause entlassen werden.
Hier beobachten wir, dass, unabhängig vom Alter, ein Großteil der Patienten nur mit einer Sauerstofftherapie nach Hause entlassen werden kan

Beschreiben Sie uns einen üblichen Arbeitstag auf der Station.
Kein Tag ist gleich. Jeden Morgen stellen wir uns auf neue Gegebenheiten ein. Wird eine neuer Covid-Patient eingeliefert, der sich in einem akuten Zustand befindet, ist meist eine Pflegekraft ein bis zwei Stunden mit der Aufnahme und eingehenden Untersuchungen beschäftigt. Unter Anderem wird ein Covid-Abstrich gemacht, die Sauerstoffsättigung geprüft, Blut abgenommen und ein EKG geschrieben. Je nachdem wie die Ergebnisse der Befunde ausfallen, entscheidet der Arzt, ob der Patient z.B. intensivpflichtig ist, auf unserer Station verbleibt oder ggf. weiterverlegt werden muss. Durch diese besondere Herausforderung hat sich das Hand- in-Hand-Arbeiten mit allen an der Behandlung Beteiligten intensiviert und wir können uns gegenseitig aufeinander verlassen.
Wir beraten uns täglich mit der Pflegedienstleitung und der Hygieneabteilung.

Wie geht man dann nach einer Schicht nach Hause? Wie geht es Ihnen danach?
Durch das Tragen der vollen Schutzkleidung über einen längeren Zeitraum und das mehrmals am Tag, sind wir komplett durchgeschwitzt und gehen zu Hause erst mal unter die Dusche. Danach einfach auf dem Sofa entspannen, weil wir einfach erschöpft sind. Im Grunde sind wir froh, dass das öffentliche Leben runtergefahren ist und wir „Draußen“ nichts verpassen.

Wo liegen die größten Unterschiede zur Arbeit auf einer Normalstation?
Da der Verlauf dieser Krankheit nicht vorhersehbar ist, wissen wir beim Betreten des Isolierzimmers nie so genau, was uns erwartet und in welchem genauen Zustand sich der Patienten gerade befindet. Wir können nicht einfach alle 10 Minuten in ein Zimmer gehen in dem ein Covid-positiver Patient liegt. Wir müssen vorher immer die Schutzausrüstung anlegen, genau überlegen, ob man alles dabeihat, weil man nicht mal eben rausgehen kann, um noch etwas zu holen. Auch muss unterschieden werden, welche Art von Patienten in den Zimmern liegen. Liegt ein Testergebnis noch nicht vor, halten wir die Schutzmaßnahmen genauso ein, als wäre es ein positiv getesteter Patient. Um uns und die Erkrankten zu schützen, müssen wir uns bei jedem Zimmerwechsel neu einkleiden.

Hinzu kommt der Austausch mit den Angehörigen. Da keine Besuche erlaubt sind, geben wir vermehrt am Telefon über den aktuellen Gesundheitszustand Auskunft und leisten auch Beistand. Für die Familien ist es natürlich auch schwer mit ihren Angehörigen persönlich nicht kommunizieren oder sich verabschieden zu können. In einer palliativen Situation unter Pandemiebedingungen gilt es für uns im Einzelfall die Gespräche der beteiligten Personen und die vielfältigen Schutzmaßnahmen in Einklang zu bringen. Unterstützt werden wir dabei seit geraumer Zeit auch von unserer Seelsorgerin, die uns enorm viel Arbeit abnimmt, wofür wir sehr dankbar sind.

Ein weiterer Unterschied ist der sogenannte Zwischendienst, der eingerichtet wurde. Hier arbeiten Mitarbeiter nicht nur in der normalen Früh-, Spät- und Nachtschicht, sondern im Wechsel auch zwischen drin von 8:30 bis 16:00 Uhr, um das 21-köpfige Team zu unterstützen. Das war bei der ersten Welle nicht so, hier hatten wir auch noch Bereitschaftsdienst.

Was belastet an dieser Aufgabe ganz besonders?
Die Belastung ist nicht unbedingt höher. Wir sind aus unserem Alltag auf der Normalstation vor der Pandemie einiges gewohnt, jetzt erleben wir sie nur ganz anders. Die volle Montur der Schutzkleidung anzuhaben ist ziemlich anstrengend und sehr belastend. Wir schwitzen nicht nur sehr darunter, durch die FFP2 Masken und Schutzbrillen kann es teilweise zu Druckstellen kommen. Einige unserer Kolleginnen und Kollegen reagieren allergisch auf Materialien, sodass Ersatz besorgt werden muss. Wir tragen die FFP2 Masken ja nicht nur bei den Patienten, sondern auch in den Stationszimmern den ganzen Tag. Zu den gewohnten Pausenzeiten geben die Vorschriften auch sogenannte Maskenpausen vor, die aber im Alltag nicht immer umsetzbar sind. Das Schönste ist, zum Feierabend an der frischen Luft erst einmal tief durchatmen zu können. Zum Glück gibt es zurzeit keine Engpässe bei der Schutzausrüstung wie noch im Frühjahr.

Neben höheren körperlichen Anforderungen ist die psychische Belastung nicht zu unterschätzen.
Teilweise betreuen wir die Patienten mehrere Wochen und sind die einzigen Menschen mit denen sie sich austauschen können. Hier bauen sich Bindungen auf und wir sind für die Angehörigen das einzige Bindeglied zu ihrem Familienmitglied.

Wir erleben, bei einer Palliativsituation dabei zu sein und beim Sterbeprozess einfach nur die Hand des Patienten zu halten.

Wie verarbeiten Sie Sterbefälle und die psychische Belastung?
Der Zusammenhalt untereinander und das „Hand-in-Hand“-Arbeiten helfen über vieles hinweg. Wir sind ein gut eingespieltes Team und sprechen über viele Situationen, so können wir das verarbeiten. Wir arbeiten auf einer sehr freundschaftlichen und respektvollen Ebene miteinander und wir sind unser Halt hier. Zusammengefasst kann man sagen, dass keiner von uns je das Mitgefühl verloren hat, unsere Patienten stehen im Mittelpunkt. Auch langjährige Kolleginnen und Kollegen, mit viel Erfahrung sind immer noch betroffen und der Austausch untereinander hilft da enorm. Auch unsere Stationssekretärin, die seit dem zweiten Lockdown direkt bei uns auf der Station arbeitet, ist uns eine große Stütze in der täglichen Arbeit und agiert im Hintergrund, was sehr hilfreich ist. Natürlich sprechen wir auch mit den eigenen Familien zu Hause, die dürfen zurzeit aber auch nicht alle besuchen werden. Wer allerdings nicht in diesem Beruf arbeitet, kann vermutlich nur schwer nachvollziehen, was wir hier täglich leisten.

Worauf sind Sie stolz?
Dass wir als Team noch mal mehr zusammengewachsen sind und dass sich noch kein Mitarbeiter auf unserer Station angesteckt hat, da sind wir sehr stolz drauf.
Wir werden auch regelmäßig getestet. Das gibt uns ein Stückchen mehr Sicherheit im Umgang untereinander sowie mit der eigenen Familie zu Hause. Weniger Angst haben zu müssen, dass man den Partner daheim anstecken könnte, ist schon viel Wert.

Wie ist der Unterschied zu der ersten Welle im Frühjahr? Wie empfinden Sie das?
Die Zahlen sind deutlich höher und es werden mehr Patienten intensivpflichtig. Die meisten Aufnahmen auf unserer Isolierstation sind derzeit ältere Menschen aus den umliegenden Pflegeeinrichtungen.

Nach den Erfahrungen, die Sie hier gemacht haben. Was ist Ihr Wunsch für die kommende Zeit?
Wir würden uns wünschen, dass sich alle Menschen an die Regeln halten, um die Infektionskette endlich zu unterbrechen. Auch uns jungen Mitarbeitern geht das ganz schön an die Substanz. Natürlich können wir verstehen, dass man gerne seine Freunde treffen und an Weihnachten gemeinsam Geschenke unter dem Weihnachtsbaum austauschen möchte. Das würden wir auch gerne tun. Aber jedes falsche Handeln bzw. ein Kontakt zu viel, müssen wir am Ende hier wieder gut machen. Da wünschen wir uns auch manchmal einfach ein bisschen mehr Wertschätzung für unsere Arbeit.

Was sind die positiven Momente und erfreulichen Situationen?

Ein positiver Moment ist tatsächlich, wenn ein Patient nach langem Aufenthalt auf unserer und auf der Intensivstation endlich negativ getestet wird und nach Hause gehen kann. Die Reaktion der uns anvertrauten Personen mitzuerleben, entschädigt für sehr viel Leid, was wir hier sehen und schweißt als Team nochmal mehr zusammen.

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